Assoziationen

Spread the love

Unser Gedächtnis arbeitet mittels Assoziationen, d. h. es verknüpft bestimmte Informationen miteinander. Wenn wir später etwas erneut erleben, sind somit auch die Verknüpfungen mit aktiviert.

Vor einigen Jahren kaufte ich während eines Schweiz-Aufenthalts eine Waschlotion, die einen für mich angenehmen Geruch verströmte. Das Seltsame war jedoch, dass ich jedes Mal, wenn ich diesen Geruch wahrnahm, sofort an meine Mutter denken musste, scheinbar ohne jeden Grund. Als ich dies schließlich meiner Mutter erzählte, reagierte diese sehr erstaunt, hatte jedoch eine Erklärung. Sie hatte eine Zeitlang eine amerikanische Seife verwendet, die genauso roch, allerdings war ich da noch ein Baby gewesen. Als Baby hatte mein Gehirn also diesen Geruch mit meiner Mutter verknüpft abgespeichert. Jahrzehnte später wurde dann die vor Jahrzehnten abgespeicherte Information abgerufen.

Solche Verknüpfungen müssen uns nicht bewusst sein, aber sie sind vorhanden und beeinflussen unser Verhalten und Wohlbefinden massiv. Meist ist uns keineswegs klar, wieso wir denken und fühlen, was wir eben denken und fühlen, denn das meiste läuft unbewusst ab.

Die Eigenart des Gehirns diese Verbindungen herzustellen, kann bei Traumapatienten ein Problem darstellen, wenn diese durch bestimmte Assoziationen getriggert werden. Weil ein bestimmtes Wort dann z. B. auch die damit verknüpften Bilder und Emotionen wieder hervorholt.

Bei mir wurde heute eine Erinnerung durch die Worte „roter Elefant“ hervorgeholt. Jeder kennt ja das Beispiel, dass man nicht an einen rosa Elefanten denken soll, was dann nicht gelingt, weil der rosa Elefant bereits durch die Erwähnung aufgetaucht ist. Ich dachte heute darüber nach, wieso er eigentlich rosa ist und nicht rot. Und bei den Worten roter Elefant erinnerte ich mich an einen aus roten Plastik, der ein Sparschwein darstellen sollte. Diese Erinnerung lag Jahrzehnte ungenutzt in einer Ecke meines Gedächtnisses herum, ungenutzt, weil nicht relevant und nicht durch eine Verbindung aktiviert. Mit der Erinnerung kamen auch Details zurück, wie dass man den Schlitz, in den man das Geld hineinstecken konnte, erst selbst reinschneiden musste, dass dieser sich scharfkantig anfühlte und ich es seltsam fand, weil ich den Elefanten dann würde aufschneiden und zerstören müssen, um an das gesparte Geld zu gelangen. Und obwohl diese Erinnerung da ist, inklusive Gefühle und Gedanken, die ich vor Jahrzehnten hatte, ist mir dennoch der Gesamtkontext nicht im Bewusstsein präsent. Ich weiß nicht mehr, woher ich den roten Elefanten hatte, ob ich in ihm dann tatsächlich Geld angespart hatte und falls ja, wie viel.

Dies war keine Erinnerung, die mit Trauma verbunden war und dennoch war sie Jahrzehnte lang nicht da, eben weil sie nicht abgerufen wurde. Nichts in meinem Leben aktivierte die Erinnerung. Und obwohl ich Details erinnere, erinnere ich viele andere eben auch nicht. Muss ich auch nicht. Ich muss ja nicht vor Gericht aussagen und das Fehlen von Details, die ich nicht erinnere, wird somit auch nicht meine Glaubwürdigkeit infrage stellen.

Im Falle von schwerer Gewalt gibt es andere Gründe, wieso etwas über Jahrzehnte nicht erinnert wird. Unser Gehirn steckt diesen explosiven Gedächtnisinhalt in eine Art Sandbox. Das kennen wir vom Computer, dass potenziell schädliche Informationen in Quarantäne geschickt werden und keinen Zugang zum Rest des Rechners haben. So macht unser Bewusstsein das auch. Deswegen gibt es im Falle von gesandboxten, also abgetrennten, Informationen dann auch keine Assoziationen, Erinnerungen.

Um sich erinnern zu können, müssen wir uns stabil und sicher genug fühlen. Es muss Raum und Zeit in unserem Leben geben, um den Inhalt der Sandbox in Ruhe verarbeiten zu können. Dass Betroffenen eine solche Umgebung in den meisten Fällen nicht zur Verfügung steht, sollte klar sein.

Es erklärt auch, wieso Betroffene sowohl von Tätern, als auch von ihren unwissentlichen Handlangern immer wieder in einem Zustand von Stress gehalten werden.

Und es erklärt, wieso es Betroffenen im Zuge einer Therapie oftmals scheinbar schlechter geht, jetzt wo das zuvor nicht aufzuarbeitende angeschaut wird. Es wird jetzt assoziiert und all das, was Jahrzehnte lang nicht bewusst war, überrollt die Betroffenen als sei es gerade jetzt geschehen.

Für mich war meine erste auftauchende Erinnerung wie eine Zeitreise. Ich war wieder 8 Jahre alt, es war für mein Bewusstsein gerade erst geschehen, in dem Moment als ich es erinnerte, trotz der 4 Jahrzehnte dazwischen. Das führte zu einer doppelt schwierigen Situation: Meine innere und meine äußere Situation war nicht identisch. Mein Bewusstsein war mit der Verarbeitung von fürchterlichen Dingen befasst, dem Gefühl von Angst, Horror, Unsicherheit, Verrat, Schmerz und Verzweiflung. Und meine Umgebung hatte und wollte keinen Zugang zu dem, was ich erlebte. Sie erwartete und erwartet von mir zu funktionieren, ein produktives Mitglied dieser Gesellschaft zu sein.

Ich mag das Wort System nicht, das so viele Betroffene verwenden, um sich selbst mit ihren vielen verschiedenen Anteilen zu beschreiben, auch wenn ich verstehe, wieso sie es benutzen. Die unterschiedliche Reaktion auf ein Wort liegt eben wieder an der Assoziation. Für mich ist ein System etwas Funktionales und ich assoziiere dieses Wort mit einer kalten, herzlosen Maschinerie. Ich reagiere deswegen immer etwas irritiert, wenn ich höre, dass Betroffene, deren vielschichtige Menschlichkeit nicht zu leugnen ist, sich als System bezeichnen. Die Gesellschaft, in der wir leben, empfinde ich als System. Alles hat zu funktionieren, und nichts, was diesem Funktionieren im Weg steht, wird akzeptiert. Ich empfinde mich nicht als System. Ich will nicht funktionieren, sondern leben, verbunden mit mir selbst und anderen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.